Aufmupf
Eine Maus ist ja ohnehin schon ein recht kleines Wesen. Noch kleiner wird sie allerdings, wenn sie sich duckt. Und gibt sie dann auch noch keinen Ton von sich, dann handelt es sich ganz ohne Zweifel um ein Exemplar der zweibeinigen Gattung „Mäuschenstiller Duckmäuser“, deren Verbreitungsgebiet sich über die ganze Welt erstreckt und deren Population im ständigen Zunehmen begriffen ist. Längst schon hat sie in unseren Breiten die Gattung der im Aussterben begriffenen „Armen Kirchenmaus“ überholt. Die Duckmaus weiß, warum das so ist. Die arme Kirchenmaus ist selbst schuld an ihrer Misere. Hätte sie sich ebenfalls geduckt und sich weiter im Verborgenen notdürftig von Fensterkitt und Staubflusen ernährt, stünde es nicht so schlecht um ihre Art. Aber nein, sie musste ja mit öffentlicher Zurschaustellung ihrer Not und dem Anknabbern der Klingelbeutel auf sich aufmerksam machen.
Der Duckmäuserich, im Speziellen der menschliche, findet hingegen, dass er alles richtig gemacht hat. Schließlich kommt man am sichersten voran, wenn man mit dem Strom schwimmt. Vor allen Dingen muss man jedoch eines tun: Still sein, immer schön klein bleiben und vermeiden, auch nur das geringste Fünkchen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und was heißt hier überhaupt Meinungsfreiheit? Besonders als politische Duckmaus muss man hinter den Leitlinien der Partei stehen, auch wenn man sich im Stillen denkt, sie könnten vielleicht doch nicht so ganz richtig sein.
Deshalb ist der Berg, hinter dem so mancher sein wahres Denken hält, ziemlich hoch. Doch als Aufmupf braucht man den Mut, die eigene Meinung laut und deutlich kundzutun. Während der Duckmaus unten nur ein laues Windchen um die Nase weht, schlägt dem Aufmupf oben mächtiger Gegenwind, teils in Form von stürmischen Böen, entgegen. Da ist es nicht so einfach, aufrecht stehenzubleiben und die Fahne des Widerspruchs hochzuhalten. Vor allen Dingen dann nicht, wenn man allein auf weiter Flur (mit sich und seiner Meinung) steht.
Ja, zur Aufmüpfigkeit gehört eine gute Portion Mut, denn als Aufmupf hat man sich ganz schnell unbeliebt gemacht. Zunächst muss man aber erst mal einer werden. Widder, Schütze, Wassermann oder Waage ist man von Geburt an, aber Aufmupf zu sein, das muss man lernen. Unter den jungen Leuten von heute finden sich einige – zum Glück. Sie lassen sich keine Meinung aufzwingen, sie haben sich ihre eigene gebildet und sind in der Lage, sie deutlich kundzutun. Nicht jedem gefällt das. Mir schon.
Auch für unsere Fenja erhoffe ich mir, dass sie ein kleiner Aufmupf wird und dass sie erkennt: Nicht alles, was ihr nicht gefällt, muss sie sich gefallen lassen. Nein, denn es ist das gute Recht eines jeden, es anderen nicht immer recht zu machen. Frei und offen seine Meinung zu sagen und das zu tun, was man für das Richtige hält. Und hat man sich erst einmal an den Gegenwind gewöhnt, stellt man fest, dass frischer Wind sehr befreiend wirken kann.
Also nicht wegducken, sondern Gesicht zeigen, seine Meinung sagen, auch wenn sie nicht dem Geschmack der Masse entspricht, und auf keinen Fall vergessen: Nicht nur für das Rückgrat ist es besser, ein Aufmupf statt einer Duckmaus zu sein.
Lilli U. Kreßner
Bitte recht höflich
Sei höflich gegen jedermann. Nicht, weil dein Gegenüber eine Lady oder ein Gentleman ist, sondern weil du eine Lady oder ein Gentleman bist. Gut gesagt. Leider muss man bezüglich dieses treffenden amerikanischen Sprichworts jedoch feststellen, dass es nur noch wenige Ladys und Gentleman zu geben scheint. Und bedauerlicherweise nicht nur in den Vereinigten Staaten, wo der derzeit amtierende Präsident mit seinen Pöbeleien und Hasstiraden das genaue Gegenteil eines Gentleman verkörpert, sondern auch hierzulande.
Ja, der Höflichkeit wird keine allzu große Bedeutung mehr beigemessen. Das merkt man schon daran, dass die Benutzung des Wortes „höflich“ im täglichen Sprachgebrauch immer mehr schwindet. Höflichkeit gehört zu den Eigenschaften, die aussterben. Drei von vier Deutschen sind laut Forschungsinstitut dieser Meinung und ebenso viele denken, dass speziell junge Leute gegenüber älteren Menschen zu wenig Respekt an den Tag legen. In mancherlei Hinsicht kann ich dem zustimmen. Denn mal davon abgesehen, dass mir im Bus oder Zug nur noch jugendliche Kriegsflüchtlinge ihren Platz anbieten, gefällt es mir gar nicht, wenn mein Mann und ich von jungen Leuten in Eisdielen oder Gaststätten gefragt werden: „Wollt 'ihr' noch was trinken?“
Umgekehrt ist das Verständnisproblem aber mindestens genauso groß. Denn als eine 86-jährige Großmutter, die den Umgang mit moderner Technik nicht scheut und im Besitz eines Laptops ist, von ihrer Suchmaschine wissen wollte, was die römische Zahl MCMXCVIII in arabischen Ziffern bedeutet und eintippte "Bitte übersetzen Sie diese römische Ziffernfolge: MCMXCVIII. Danke“, verstand ihr Enkel die Welt nicht mehr. Er machte von der Suchanfrage seiner Großmutter einen Screenshot, den er auf Twitter mit dem Kommentar postete "Oh mein Gott! Ich habe den Laptop meiner Omi geöffnet. Sie hat was gegoogelt und 'bitte' und 'danke' dazugeschrieben. Ich krieg mich nicht mehr ein!"
Doch nicht nur junge Leute können mit dem Begriff Höflichkeit und vor allem mit dessen Umsetzung nichts oder nur noch sehr wenig anfangen. Nein, ältere Semester sind, wie ich bestätigen kann, ebenso betroffen. Und genau aus diesem Grund werde ich von dieser Kolumne Kopien anfertigen und in meiner Fahrradtasche verstauen. Die sind bestimmt für zwei Herren, denen ich hoffentlich noch einmal begegnen werde und die noch viel über Höflichkeit im täglichen Miteinander lernen müssen. Und nicht nur diesbezüglich. Zusätzlich müssen sie auch noch lernen, Straßenschilder richtig zu lesen und nicht armen Kolumnistinnen, die amtlich erlaubt mit ihrem Fahrrad Einbahnstraßen entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren, den Vogel zu zeigen oder ihnen hinterherzurufen: „Hast du sie noch alle?“
Erstem Herrn sei gesagt: Auch durch unentwegtes Tippen mit dem Zeigefinger an die Stirn lassen sich weder Sehvermögen, Intelligenz noch die Fähigkeit zur Pflege guter Umgangsformen erhöhen beziehungsweise überhaupt herstellen. Und letzterem Herrn sei mitgeteilt: Ja, ich glaube, ich habe sie noch alle – und zwar alle Achtung vor Menschen, die freundlich, höflich und hilfsbereit sind und nicht nur die PS-Zahl ihres fahrbaren Untersatzes, sondern auch die Grundvoraussetzungen für respektvolles und höfliches Benehmen kennen.
Lilli U. Kreßner
Der richtige Riecher
Der Geruchssinn des Menschen, sagen Fachleute, wird viel zu sehr unterschätzt. Versuchspersonen, die ausgerüstet mit Augenbinden, Ohrstöpseln und Handschuhen, nur diesem Sinn folgten, waren bei Tests imstande, problemlos meterlange Duftfährten zu erschnüffeln. Einige von ihnen nach dreitägigem Training sogar doppelt so schnell wie zu Beginn. Und noch etwas fanden die forschen Forscher heraus: Ähnlich wie beim Hören werden bei der Duftwahrnehmung die Informationen aus zwei Richtungen verglichen und so schließlich die Position der Quelle ausgemacht. Toll, wer hätte das gedacht – wir können in Stereo riechen!
Ja, die menschliche Nase ist fürwahr ein Wunderwerk: Rund 10.000 verschiedene Düfte kann sie problemlos unterscheiden. Das hat viele Vor-, aber auch ganz erhebliche Nachteile. Auf so mancher von Hundehaufen übersäten Tretminen-Allee wären die meisten sicher nicht unglücklich, wenn sich die Wahrnehmung von Gerüchen auf Mono umschalten oder besser noch gänzlich unterbinden ließe. Aber auch in der Nähe von Müllverbrennungsanlagen oder einem Artgenossen, der von ständiger Flatulenz heimgesucht wird und sich fortwährend auf ganz bestimmte Art und Weise Luft machen muss, wäre es nicht schlecht, wenn es mehr Gegenmittel als nur die Daumen-Zeigefinger-Klammer gäbe.
Aber so ist das nun mal: Die Nase ist das einzige Sinnesorgan, das seine Impulse ohne Umwege auf direktem Weg zum Gehirn leitet. Und deshalb gibt es eine Menge Leute, die Nasenmenschen sind, sprich: sie haben eine sehr empfindliche Nase. Ich zum Beispiel. Viele Genüsse wurden mir so schon zuteil, aber auf manche habe ich leider deshalb auch schon verzichten müssen. Auf den Anblick kleiner, neugeborener Ferkelchen zum Beispiel. Noch nicht mal bis in die Mitte eines Elbenröder Schweinestalles gekommen, musste ich brechreizgeplagt, mit Tränen in den Augen und einer Ohnmacht gefährlich nahe Hals über Kopf das Weite suchen, ohne dass mir auch nur ein winziger Blick auf die süßen, putzigen Tierchen möglich gewesen wäre.
Und mit Blumenkohl geht es mir ähnlich. Da kann die Küche noch so schön und gemütlich sein – wenn Blumenkohl in ihr gekocht wird, muss ich sie fluchtartig verlassen. Da nützt es mir wenig bis gar nichts, dass meine Riechzellen sich angeblich alle 60 Tage komplett erneuern – die, die nachwachsen, sind mindestens so empfindlich wie ihre Vorgänger. Mehr noch, ich habe das Gefühl, sie werden von Jahr zu Jahr empfindlicher. Mein Mann hat Recht: Mein Hörvermögen hat im Lauf der Zeit nachgelassen, aber was das Riechen betrifft, da bin ich immer noch fast unschlagbar.
Nur eine Person kenne ich, deren Geruchssinn noch ausgeprägter ist als der meine: Unsere Freundin Gaby. Sie braucht weder Gourmet-Reiseführer noch Feinschmecker-Guides. Nein, mittels ihrer ausgesprochen feinen Nase folgt sie in jeder Stadt der Welt unbeirrt den verschiedensten lukullischen Duftfährten und leitet uns zielsicher zu den schönsten Delikatess-Läden, Wochenmärkten voller Köstlichkeiten und in Seitengassen versteckten kleinen Gaumenschmaus-Tempeln, in denen Einheimische auf das Beste für wenig Geld speisen.
Keine Ahnung, wie sie das macht. Vielleicht liegt es an speziellen Sensoren oder einem von Geburt an vorhandenen Feinschmecker-Navigationsgerät, das Gaby sogar in Doppel-Stereo riechen lässt. Die Nasenhöhlenforscher könnten das, wenn man sie denn ließe, ganz gewiss ergründen... mit dem richtigen Riecher.
Lilli U. Kreßner