Bohlen-Pollen

 

Mal ganz davon abgesehen, dass Mitgliedern dieser Gruppe schon seit jeher der Ruf vorauseilte, recht unterkühlt und vernunftgesteuert zu sein, habe ich so manchem Wissenschaftler, der über Gefühle sprach, schon immer ein wenig misstraut - und siehe da: neulich wurde ich in meiner Meinung wieder einmal bestärkt, als ich las, dass da mittels einer Studie ein Freiburger Wissenschaftler festgestellt haben will, dass wir – im Gegensatz zu den Eskimos - uns Frühlingsgefühle nur einbilden. Einbilden!

 

Na ja, jenem „Experten“ würde ich dringend raten, die Augen mal von der Fachliteratur abzuwenden, das miefige Studierzimmer zu verlassen, sich an die frische Frühlingsluft zu begeben und im hellen, warmen Sonnenschein einen Spaziergang über deutsche Marktplätze zu wagen. Dort kann er nämlich momentan live und in Farbe erleben, dass auch der gewöhnliche Mitteleuropäer zu derlei von der Jahreszeit abhängigen Empfindungen durchaus in der Lage ist. Und wie!

 

Unschwer wird er dann zum Beispiel feststellen dürfen,dass selbst die Damen etwas reiferen Alters beileibe nicht bloß aufgrund hitziger Wechseljahresbeschwerden nur allzu gerne bereit sind, sich aus ihren dicken Winterpullovern und wärmenden Flanellhosen zu schälen, um wieder mehr Lebensfreude und Haut an den frühlingshaften Tag zu legen. Nein, auch die jüngeren Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts geizen nicht mit ihren Reizen, und so dürfte der gute Mann dank strahlender Frühlingssonne gleich mehrfach die Möglichkeit haben, den ein oder anderen textilfreien Pobackenansatz oder Bauchnabel einschließlich diverser mehr oder minder fachmännisch installierter Piercings bewundern zu können – was wiederum dazu führt, dass der weitaus interessiertere Rest der auf diesem Marktplatz befindlichen Männer sich vor Gefühlseindrücken kaum noch zu retten weiß. Ja, und so mancher Herr der Schöpfung, der zusätzlich zum Frühlingsgefühl auch noch dem untrüglichen Gefühl erliegt, dass sein Sehvermögen doch um Einiges nachgelassen zu haben scheint, überkommt der unwiderstehliche Drang, zum nächsten Optiker zu eilen, damit ihm auch kein einziger scharfer Blick auf miniberockte Frauenbeine mehr entgehen kann.

 

Nun gut, was sagt uns das? Ganz klar: Wissenschaftler mögen ja von allem Möglichen Ahnung haben, von Gefühlen und dem wahren Leben haben sie anscheinend aber keine. Ansonsten müsste ihnen nämlich zu denken geben, dass gerade im Frühling – speziell im Wonnemonat Mai – die meisten Wonneproppen gezeugt werden. Nein, sie scheinen wirklich vollkommen ahnungslos zu sein – und bei einigen drängt sich mir zudem der Verdacht auf, dass sie zwar theoretisch bis ins kleinste Detail über den Vorgang der Befruchtung einer weiblichen Eizelle informiert sind, jedoch keinerlei Vorstellung haben, was sich bis zu diesem Ereignis zuvor praktisch getan haben muss.

 

Ach ja, dabei sind (die wissenschaftlich nicht nachgewiesenen) Frühlingsgefühle doch wirklich was Wunderbares! Gut, einige unserer Mitmenschen würden auf ganz bestimmte wohl ausgesprochen gerne verzichten. Auf dieses juckende Gefühl in der Nase zum Beispiel oder das brennende in den Augen, unter dem die bedauernswerten Allergiker so sehr zu leiden haben.

 

Bislang jedoch – dem blauen Frühlingshimmel sei Dank - blieb Ihre Kolumnistin von Allergien gänzlich verschont. Obwohl, na ja... irgendwie allergisch reagiert sie zuweilen schon. Beispielsweise immer dann, wenn sie Leute wie diesen Dieter Bohlen im Fernsehen hört und sieht. Schlagartig beginnt es dann, ihr in den Fingern zu jucken. Hmm... woran das bloß liegen könnte? An den bisher von der Wissenschaft noch nicht entdeckten Bohlen-Pollen vielleicht?

 

 

 

Lilli U. Kreßner

 

 

 

 

Aufschieberitis

 

Haben Sie schon mal was von der „Aufschieberitis“ gehört? Nein? Trösten Sie sich, ich bis vor einer Woche auch noch nicht. Doch just zu diesem Zeitpunkt flatterte das neue Gesundheitsmagazin unserer Krankenkasse ins Haus, und siehe da: nun weiß auch ich, was mit dieser Bezeichnung gemeint ist. Gut, von Bronchitis und Gastritis, da habe ich ja schon mal was gehört und dass die Endung „...itis“ in solchen Zusammenhängen oft etwas mit Krankheit zu tun hat, ist mir auch bekannt. Dass mir jedoch per Magazin eine Ferndiagnose bezüglich einer Krankheit gestellt wird, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie ab und an habe, das ist mir vollkommen neu. Doch wie man sieht, haben die Krankenkassen ein reges Interesse an dem Gesundheitszustand und der Aufklärung ihrer Mitglieder – stellt sich bloß die Frage, ob man man sich von den in solchen Magazinen geschilderten Symptomen auch heimgesucht fühlt.

 

Ich für meinen Teil kann das in diesem Fall eindeutig bejahen. Äußerst hilfreich war für mich das Gelesene, denn nun weiß ich zum Glück, dass es sich bei den „Zuständen“, die mich bisweilen überkommen, wirklich um eine Art Krankheit handelt. Man selbst kann also eigentlich gar nichts dafür, nein, man ist von einem Virus befallen und ihm sozusagen mehr oder minder hilflos ausgeliefert. Dieses Virus, um das es hier geht, hat einen ulkigen Namen: es nennt sich „Innerer Schweinehund“. Keiner hat diesen Schweinehund bisher zu Gesicht bekommen und das ist das Gefährliche. Nach welchen Kriterien er seine Opfer wählt, ist ebenfalls nicht bekannt. Heimlich schleicht er sich irgendwann in sie ein. Still und leise ist er jedoch nicht. Nein, seine Grunz-Bell-Laute sind meist dann nicht zu überhören, wenn es gilt, Steuerbelege zu sortieren, Unkraut zu rupfen, einen Zahnarzt-Termin zu vereinbaren oder sich des riesigen Wäscheberges anzunehmen. Nein, mit ihm ist wirklich nicht zu spaßen! Zudem ist dieser Schweinehund ausgesprochen raffiniert. Er macht dich müde, schlapp, antriebslos und unter seinen Pfoten und seinem dicken Bauch versteckt er alle Drücker... bis auf einen einzigen: den letzten!

 

Irgendwie beruhigt hat mich das Lesen des Magazins aber dennoch. Jetzt braucht mir niemand mehr mit dem vorwurfsvollen Spruch „Gib doch zu, dass du keine Lust hast!“ zu kommen. Nö, ganz im Gegenteil. Einen Kuchen müsste man mir backen, Blümchen für mich pflücken, einen bequemen Liegestuhl für mich herbeischaffen und mich stundenlang bedauern – denn mich Gepeinigte hat das hinterhältige Schweinehund-Virus erwischt!

 

Ohhhh, ich weiß nicht, irgendwie wird mir auf einmal schon wieder so komisch! Ich muss unbedingt ins Bett oder zumindest auf die Couch. Ich bin krank! Ein akuter Schub der „Aufschieberitis“ hat mich heimtückisch befallen, ich spüre es ganz deutlich! Komisch, dabei habe ich eben doch nur einen winzigen Blick in die unaufgeräumte Küche geworfen. Na ja, jetzt ist auf alle Fälle erst einmal Ruhe und Schonung angesagt - morgen ist schließlich auch noch ein Tag und übermorgen ebenfalls... ach, was sage ich - der ganze nächste Monat ist voll davon!

 

 

 

 

Lilli U. Kreßner

 

 

 

 

Bitte recht höflich      

 

Sei höflich gegen jedermann. Nicht, weil dein Gegenüber eine Lady oder ein Gentleman ist, sondern weil du eine Lady oder ein Gentleman bist. Gut gesagt. Leider muss man bezüglich dieses treffenden amerikanischen Sprichworts jedoch feststellen, dass es nur noch wenige Ladys und Gentleman zu geben scheint. Und bedauerlicherweise nicht nur in den Vereinigten Staaten, wo der derzeit amtierende Präsident mit seinen Pöbeleien und Hasstiraden das genaue Gegenteil eines Gentleman verkörpert, sondern auch hierzulande.

 

Ja, der Höflichkeit wird keine allzu große Bedeutung mehr beigemessen. Das merkt man schon daran, dass die Benutzung des Wortes „höflich“ im täglichen Sprachgebrauch immer mehr schwindet. Höflichkeit gehört zu den Eigenschaften, die aussterben. Drei von vier Deutschen sind laut Forschungsinstitut dieser Meinung und ebenso viele denken, dass speziell junge Leute gegenüber älteren Menschen zu wenig Respekt an den Tag legen. In mancherlei Hinsicht kann ich dem zustimmen. Denn mal davon abgesehen, dass mir im Bus oder Zug nur noch jugendliche Kriegsflüchtlinge ihren Platz anbieten, gefällt es mir gar nicht, wenn mein Mann und ich von jungen Leuten in Eisdielen oder Gaststätten gefragt werden: „Wollt 'ihr' noch was trinken?“

 

Umgekehrt ist das Verständnisproblem aber mindestens genauso groß. Denn als eine 86-jährige Großmutter, die den Umgang mit moderner Technik nicht scheut und im Besitz eines Laptops ist, von ihrer Suchmaschine wissen wollte, was die römische Zahl MCMXCVIII in arabischen Ziffern bedeutet und eintippte "Bitte übersetzen Sie diese römische Ziffernfolge: MCMXCVIII. Danke“, verstand ihr Enkel die Welt nicht mehr. Er machte von der Suchanfrage seiner Großmutter einen Screenshot, den er auf Twitter mit dem Kommentar postete "Oh mein Gott! Ich habe den Laptop meiner Omi geöffnet. Sie hat was gegoogelt und 'bitte' und 'danke' dazugeschrieben. Ich krieg mich nicht mehr ein!"

 

Doch nicht nur junge Leute können mit dem Begriff Höflichkeit und vor allem mit dessen Umsetzung nichts oder nur noch sehr wenig anfangen. Nein, ältere Semester sind, wie ich bestätigen kann, ebenso betroffen. Und genau aus diesem Grund werde ich von dieser Kolumne Kopien anfertigen und in meiner Fahrradtasche verstauen. Die sind bestimmt für zwei Herren, denen ich hoffentlich noch einmal begegnen werde und die noch viel über Höflichkeit im täglichen Miteinander lernen müssen. Und nicht nur diesbezüglich. Zusätzlich müssen sie auch noch lernen, Straßenschilder richtig zu lesen und nicht armen Kolumnistinnen, die amtlich erlaubt mit ihrem Fahrrad Einbahnstraßen entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren, den Vogel zu zeigen oder ihnen hinterherzurufen: „Hast du sie noch alle?“

 

Erstem Herrn sei gesagt: Auch durch unentwegtes Tippen mit dem Zeigefinger an die Stirn lassen sich weder Sehvermögen, Intelligenz noch die Fähigkeit zur Pflege guter Umgangsformen erhöhen beziehungsweise überhaupt herstellen. Und letzterem Herrn sei mitgeteilt: Ja, ich glaube, ich habe sie noch alle – und zwar alle Achtung vor Menschen, die freundlich, höflich und hilfsbereit sind und nicht nur die PS-Zahl ihres fahrbaren Untersatzes, sondern auch die Grundvoraussetzungen für respektvolles und höfliches Benehmen kennen.

 

 

Lilli U. Kreßner

 

 

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